Es ist vielleicht das berühmteste Lächeln der Welt. Doch als Postermotiv in einer Zahnarztpraxis taugt es kaum: Die Mona Lisa (italienisch: La Giaconda – „die Heitere“) wurde zwar von Leonardo da Vinci handwerklich meisterhaft und versetzt mit viel Symbolik auf Leinwand verewigt, doch so richtig aus sich heraus geht die heitere junge Frau offenbar nicht. Was ist nicht schon von Kunstexperten und Betrachtern über das Lächeln der Mona Lisa diskutiert worden – auch über die Frage, warum sie denn dabei keine Zähne, wirklich nicht im Mindesten, preisgibt.
Erklärungsansätze gibt es viele. Ein besonders interessanter: Einige Historiker glauben, die reale Person, die da Vinci Porträt saß, war die Adelige Isabella von Aragon – und diese litt erwiesenermaßen unter – damals durchaus üblich – sehr „schlechten“ Zähnen. Einer Untersuchung der Bradford University zufolge, eine von Englands führenden Institutionen auf dem Gebiet der Forensik, wies Isabella starke Zahnverfärbungen auf, so dass sie zu Hilfsmitteln wie Bimsstein und groben Zahnstochern griff und dazu einer im frühen 16. Jahrhundert aufkommenden Pflege mit Zahnpasta aus Ziegelstaub und gemahlenem Viehhuf vertraute. Eine rabiate Mundhygiene also, die auch den Zahnschmelz in Mitleidenschaft zog, wie die Skelettanalysen zeigten. Kurz: Ihre Zähne taugten kaum für ein betörendes Lächeln, weshalb der Meister sie auch nicht auf die Leinwand bannte.
Klingt nach einer schlüssigen Lösung, doch was, wenn die Porträtierte gar nicht Isabella war, wie andere Experten vermuten. Wie lässt sich dieser „dentale“ da Vinci-Code dann knacken? Vielleicht überhaupt nicht, was dem Mystischen des Gemäldes natürlich gut täte. Vielleicht aber doch. Nämlich dank einer schon länger bekannten Beobachtung aus der Kunstgeschichte, wonach Porträts von Menschen, die Zähne zeigen, bis in die Moderne allgemein auffallend selten sind. Weshalb? Hier werden vor allem drei Gründe ins Feld bzw. ins Atelier geführt.
Erstens: Langes Modell sitzen mit geöffnetem Mund und sichtbaren Zähnen, möglichst unbeweglich und mit entspanntem Gesichtsausdruck, ist kaum möglich und gleicht einer Tortur. Wer heutzutage ein breites Lächeln für ein Gruppenbild oder ein Selfie aufsetzt, weiß, wie lange sich die Sekunden ziehen können, bis das Bild entsteht. Der Renaissance-Adel wäre kaum bereit gewesen, eine solche Anstrengung über viele Stunden aufzubringen. Zweitens: Wird ein Kopf mit offenem Mund und Zähnen dargestellt, rückt diese Gesichtspartie fast zwangsläufig in den Fokus des Betrachters, ein Effekt, den Auftraggeber und Künstler aber nicht erzielen wollten. Dritte Erklärung, warum ein Lächeln mit Zahndarstellung in früheren Jahrhunderten kaum auf Gemälden wiedergegeben wurde: Ganz einfach, es geziemte sich nicht! Wer etwas auf sich hielt, und das war ganz besonders die gehobene Gesellschaft, zeigte schlicht keine Zähne. Ein diskretes Lächeln entsprach der Etikette, offene Münder und „viel Zahn“ waren dagegen (meist) Insignien des Ungezügelten, des Pöbels, von Betrunkenen und Rohlingen. Also eines Klientel, dem die reale Mona Lisa keineswegs entsprach.
Argumente wie die genannten könnten also erklären, warum La Giaconda – „die Heitere“ – so schüchtern lächelt. Geheimnisvoll bleibt ihr Ausdruck dennoch, weshalb sich der genaue Blick auf ihr Porträt weiter lohnt – vielleicht ja doch als Poster in der Zahnarztpraxis.